Interview von CDU-Generalsekretär Peter Tauber mit “Die Zeit”

CDU-Generalsekretär Dr. Peter Tauber gab der Wochenzeitung “Die Zeit” (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Marc Brost und Peter Dausend.
DIE ZEIT: Herr Tauber, woran erkennt man den Beginn einer Kanzlerdämmerung?
Peter Tauber: So etwas erkennt man erst am Wahlabend, wenn eine Wahl verloren ist.
ZEIT: Womöglich erkennt man den Beginn ja schon, wenn der Vorsitzende einer anderen Partei den Willen der eigenen Mitglieder rhetorisch besser trifft als die Chefin?
Tauber: Da widerspreche ich entschieden. In der Geschichte der CDU haben Vorsitzende, die ja oft auch Kanzler waren, immer wieder Dinge durchgesetzt, die in der Partei zunächst umstritten waren. Denken Sie an die Wiederbewaffnung unter Konrad Adenauer. Momentan, in der Flüchtlingsfrage, geschieht doch Bemerkenswertes: Das C im Namen meiner Partei, das für manchen Beobachter schon angestaubt war, wird mit neuem Leben gefüllt. In der Vergangenheit haben viele dieses C gleichgesetzt mit »konservativ«. Christliche Werte sind aber Glaube, Liebe, Hoffnung. Und das kann, muss aber nicht deckungsgleich sein mit Familie, Arbeit, Vaterland.
ZEIT: Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl hat noch am Sonntag gesagt: »Wenn Merkel die Grenzen nicht schließt, wird sie nicht Kanzlerin bleiben«. Was haben Sie da gedacht?
Tauber: Den Satz habe ich wohl überhört.
ZEIT: Wird Merkel die Grenzen schließen?
Tauber: Nein.
ZEIT: Was sagen Sie jenen CDU-Mitgliedern, die Deutschlands Grenzen schließen wollen?
Tauber: Erst einmal weise ich sie auf etwas anderes hin: Wir haben gerade einen Kulturkampf gewonnen. Inzwischen reden auch Sozialdemokraten und Grüne ganz selbstverständlich von Leitkultur und davon, dass eine Gesellschaft etwas Verbindliches braucht. Das war lange nicht so, und da hat sich die Union durchgesetzt. Als Generalsekretär bekomme ich natürlich auch einige Briefe von Parteimitgliedern, die in der CDU sind, weil sie glauben, wir müssten vor allem das Nationale betonen. Diesen Leuten antworte ich dann immer, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes – »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – nicht nur für Deutsche gilt. Das C setzt jeder Form von übersteigertem Patriotismus eine Grenze.
ZEIT: Wie viele solcher Briefe bekommen Sie?
Tauber: Durchaus einige. Aber ich erlebe auch sehr viel Zustimmung. Wir haben insgesamt einen leichten Rückgang der Mitgliederzahl, aufgrund der Altersstruktur. Aber es gab zuletzt keinen Ausschlag nach unten oder nach oben. Was sich verändert hat: Wir haben mehr Parteiaustritte als sonst. Aber wir haben auch deutlich mehr Eintritte. Man merkt: Das Thema bewegt die Leute.
ZEIT: Zum ersten Mal seit Jahren verliert die CDU im Bund an Zustimmung. Ist Ihre Partei überhaupt noch krisenfest?
Tauber: Wir sind ein bisschen verwöhnt durch die große Zustimmung der letzten Jahre. Viele Abgeordnete sind es nicht mehr gewohnt, im Feuer zu stehen. Das ging mir in meiner ersten Wahlperiode ja auch so. In unseren Wahlkreisen haben die Leute doch meistens gesagt: »Mensch, grüß mal die Kanzlerin – läuft doch prima.« Jetzt heißt es: »Was macht Ihr da eigentlich? Wisst Ihr, wie es hier aussieht?« Ich bin sehr zuversichtlich, dass Deutschland die Herausforderungen dieser Tage bestehen wird. Und das wird auch gut für die CDU sein, da bin ich mir sicher.
ZEIT: Wäre Wolfgang Schäuble ein guter Kanzler?
Tauber: In der Union sind sich alle einig, dass es niemand besser machen könnte als Angela Merkel.
ZEIT: Auch Horst Seehofer?
Tauber: Auch Horst Seehofer.
ZEIT: Seit dem vergangenen Wochenende setzen sich CDU und CSU gemeinsam für Transitzonen an den Grenzen zu Österreich ein. Mal ehrlich: Ihnen geht es doch nur um die Bilder. Die Flüchtlinge sollen sehen, dass sie in Deutschland hinter Zäunen landen – und gar nicht erst kommen.
Tauber: Transitzonen sind ein wichtiger Baustein in unserem Vorhaben, die Zuwanderung von Flüchtlingen besser zu steuern und zu begrenzen. Sie werden helfen, dass wir Asylanträge von Menschen aus sicheren Herkunftsländern schneller bearbeiten und diese zügiger abschieben können.
ZEIT: Das sieht die SPD anders.
Tauber: Manche in der SPD haben sich mit unsäglichen Begriffen wie Guantánamo vorschnell auf ein Nein festgelegt. Jetzt haben sie das Problem, sich von ihrer überschießenden Rhetorik zu lösen, gerade weil wir inhaltlich nicht weit auseinanderliegen.
ZEIT: Wie viele Transitzonen soll es geben?
Tauber: Darüber werden wir in der Koalition reden.
ZEIT: Werden es Zeltstädte sein? Oder Containerdörfer?
Tauber: Im Idealfall ehemalige Kasernen oder leerstehende Gewerbeimmobilien.
ZEIT: Wie viele Menschen werden sich wie lange dort aufhalten müssen?
Tauber: Das hängt von der Ausgestaltung ab. Aber: Jeder Schritt zur Beschleunigung von Verfahren hilft.
ZEIT: Unser Eindruck ist ja: Seehofer wollte am vergangenen Wochenende von Merkel eine Obergrenze für Flüchtlinge hören, Merkel hat das verweigert – und um davon abzulenken, geht’s mit den Transitzonen gemeinsam gegen die SPD.
Tauber: Sicher sind manche Journalisten traurig, dass sich CDU und CSU geeinigt haben. Für uns als Union ist ganz klar: Wir wollen die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, reduzieren.
ZEIT: Und wenn es mit der SPD an diesem Donnerstag keine Einigung gibt?
Tauber: Vieles von dem, was die Sozialdemokraten wollen, ist nicht weit entfernt von dem, was wir planen. Wenn sie sich an dem Namen Transitzone stören, kann ich ihnen versichern: Daran soll ein Kompromiss nicht scheitern.
ZEIT: In ihrem gemeinsamen Flüchtlingspapier sagen CDU und CSU, die EU müsse »den Schutz ihrer Außengrenzen wiederherstellen«. Wie genau soll das geschehen?
Tauber: Wir werden dafür auch deutsche Polizisten einsetzen müssen. Und unser Geld. Die Sicherung der europäischen Außengrenzen ist eine gesamteuropäische, also auch eine deutsche Aufgabe.
ZEIT: Die Türkei soll Flüchtlinge behalten und nicht einfach nach Griechenland – also in die EU – weiterschieben. Dafür wird ihr eine Beschleunigung des EU-Beitrittsverfahrens versprochen, zu einem Zeitpunkt, da Istanbul die freie Presse knechtet, den Konflikt mit den Kurden einheizt und auf ein autoritäres Präsidialsystem zusteuert. Verkaufen wir gerade unsere Glaubwürdigkeit, damit uns Erdogan die Flüchtlinge vom Hals hält?
Tauber: Wir müssen außenpolitisch mit den Partnern arbeiten, die nun mal da sind. Europa wird sich überlegen müssen, wie es mit der Sehnsucht von Millionen von Menschen umgeht, die sich hier ein besseres Leben erhoffen. Und da werden wir immer mit Ländern zusammenarbeiten müssen, in denen uns nicht alle Entscheidungen gefallen. Das nennt man Realpolitik.
ZEIT: War es damals ein strategischer Fehler von Merkel, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzulehnen?
Tauber: Nein. Ich glaube, dass man außenpolitisch besser miteinander auskommt, wenn man sich klar sagt, wo man steht.
ZEIT: Nur kommt man dann nicht zusammen.
Tauber: Zusammen kommt man immer nur, wenn man kompromissbereit ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass für die türkische Seite die Vollmitgliedschaft zentral ist. Da geht es eher um andere Dinge. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Türkei seit langer Zeit über zwei Millionen Flüchtlinge im Land hat, dann kann ich verstehen, dass die Regierung nach finanzieller Unterstützung fragt.